Schrumpfende Ressourcen auf der einen Seite, ständig wachsende Müllberge auf der anderen – und dazwischen der Mensch, der für beides verantwortlich ist. Ein Bild, an das wir uns gewöhnt haben. Und während sich die einen von ihrem schlechten Gewissen zu Verzicht und Buße für ihre Ökosünden getrieben fühlen, resignieren die anderen gleich. Ist halt so. Der Mensch zerstört die Umwelt. Schade, findet der Cradle to Cradle e. V.
„Nur weniger schlecht zu sein reicht uns nicht“, hat sich der 2012 gegründete Verein auf die Fahnen geschrieben und fragt: Wie wäre es denn, wenn wir Menschen unsere Hirnmasse, unsere Kreativität und Geschicklichkeit dafür einsetzen würden, einen positiven Fußabdruck auf der Erde zu hinterlassen? Dass das geht, dass es genügend Ideen und tatkräftige Macher*innen gibt, zeigte der Verein beim Cradle to Cradle Congress im September 2018 an der Leuphana-Universität in Lüneburg.
Als ich am Morgen des Kongresstages vor dem Audimax ankomme, weiß ich vom Thema Cradle to Cradle … übersichtlich viel. Ich kenne es als Konzept, das beim Design von Produkten nicht von der Herstellung bis zum Ende auf der Müllkippe denkt, sondern von vornherein einen potenziell endlosen Kreislauf im Blick hat: Produktion – Nutzungsphase – Recycling aller Komponenten – Produktion – Nutzung. Statt von der Wiege bis zur Bahre also von der Wiege bis zur Wiege, Cradle to Cradle.
Mit einem Becher (selbstverständlich fair gehandeltem) Kaffee in den Händen spaziere ich durch das Foyer und studiere die Schautafeln mit Infos zum Verein und zu konkreten Projekten. Dabei lerne ich schon einmal, dass es genau genommen zwei Kreisläufe gibt. Im einen werden biologisch abbaubare Verbrauchsprodukte wieder zu Nährstoff für Agrarprodukte (biologischer Kreislauf), im anderen werden Gebrauchsprodukte, bestehend beispielsweise aus Metallen oder Kunststoffen, per Recycling zu neuen Produkten (technischer Kreislauf).
Am Ende des Tages werde ich zudem wissen, dass es nicht einfach darum geht, gewöhnliche Produktkonzepte um ein paar Recyclingideen zu ergänzen. Denn was nützt es, Produkte wiederzuverwerten, wenn ihre Materialien von vornherein giftig sind oder schon ihr bestimmungsgemäßer Gebrauch zu Problemen führt? Wenn Autoreifen im normalen Gebrauch durch Abrieb schädliches Mikroplastik in die Umwelt entlassen, dann bringt es nichts, sie nach ihrer Produktlebenszeit als Sandalen wiederzuverwerten, dann braucht es neue Konzepte für Autoreifen. Und was nützt es, aus Altpapier Recyclingpapier zu machen, wenn die giftigen Überreste der Druckfarben im System bleiben?
Wir wollen ja, aber …
Aber vor allem erfahre ich an diesem vollgepackten, informativen und inspirierenden Kongresstag, wie viel schon an Cradle-to-Cradle-(C2C-)Konzepten getüftelt wird. Wobei die Sache halt nicht beim Tüfteln enden darf, stellt C2C-Vorständin Nora Sophie Griefahn klar: „Wir haben inzwischen so viele Forschungsergebnisse, dass wir theoretisch zwanzig Jahre lang einfach erst mal umsetzen könnten.“
Aber zwischen Möglichkeit und Wirklichkeit klafft allzu oft eine Lücke. Genau darüber spricht Janez Potočnik, slowenischer Wirtschaftswissenschaftler und ehemaliger EU-Kommissar, auf dem Podium: dass die ressourceneffizienten Lösungen leider oft nicht die wirtschaftlich gewinnbringenden sind. Er appelliert an die Politik, nachhaltige Innovationen der Wirtschaft zu unterstützen, beispielsweise mit Subventionen.
We want changes, but we do not want to change.
(Janez Potočnik)
Was die Umsetzung von C2C-Konzepten für ein konkretes Unternehmen bedeutet, erfahre ich beim Vortrag von Donald Brenninkmeijer, Chief Innovation Officer bei C&A. Er erzählt von der langen Entwicklungszeit für Kollektionen C2C-konformer Kleidungsstücke. Auf den Markt kamen 2017 zunächst T-Shirts, 2018 dann eine Jeanskollektion. Vieles musste dabei bedacht werden: die Verwendung wiederverwendbarer (oder kompostierbarer) Materialien bis hin zum letzten Faden und Knopf, die Erforschung ungiftiger Farbstoffe, die Wasseraufbereitung, die Kontrolle entlang der gesamten Produktionskette. Offen berichtet Brenninkmeijer von Widerstand im eigenen Unternehmen – schließlich bewegt sich C&A in einem Markt, in dem schon ein geringer Preisunterschied bedeutet, dass Textildiscounter den Umsatz machen. „Wir können den Weg hin zu nachhaltiger Kleidung nur gehen, wenn die Wettbewerber mitmachen.“ C&A hat sich deshalb entschlossen, die gesammelten Erkenntnisse anderen Unternehmen frei zugänglich zu machen.
Nachhaltigkeit braucht Wissen – und Wollen
Noch etwas wird mir an diesem Tag klar, nämlich welche Rolle Informationen spielen: Informationen über Herstellungsprozesse, über verwendete Materialien und Logistik, Wissen darüber, wie sie eines Tages wiedergewonnen und wiederaufbereitet werden können. In einem der Workshops wird als Positivbeispiel die Reederei Maersk genannt, die für ihre neuesten, größten Containerschiffe sämtliche verwendeten Materialien bis hin zur letzten Schraube in einem C2C-Passport festgehalten hat – eine unverzichtbare Informationsquelle, wenn das Schiff irgendwann einmal komplett dem Recycling zugeführt werden soll.
Wobei die Materialien dieses Superfrachters natürlich von vornherein einen großen Wert haben, sodass ein entsprechendes Interesse am Recycling besteht. Anders sieht das in der Bekleidungsindustrie aus. Das Thema Textilien ist 2018 Schwerpunkt des Kongresses, und das zu Recht. Aktuell werden 100 Milliarden Kleidungsstücke pro Jahr produziert – für eine Weltbevölkerung von 7 Milliarden. Ex und hopp ist zum bestimmenden Impuls der Bekleidungsindustrie geworden, und soziale Netzwerke wie Instagram heizen die Entwicklung weiter an. Wer will schließlich im Selfie immer wieder dasselbe Outfit tragen?
Aber auch in dieser Branche tut sich etwas. Noch einmal Daten: In einem Workshop zu Textil-Startups erzählt Gründerin Ina Budde von ihrer Firma circular.fashion, die unter anderem eine große Datenbank C2C-geeigneter Materialien und Lieferanten aufbaut – eine Fülle von Informationen, aus der Designer*innen für die Entwicklung nachhaltiger Kleidung schöpfen können. Und in einem der Panels sagt Philomena John, Direktorin der indischen Textilfabrik Cotton Blossom, einen für mich denkwürdigen Satz:
Whenever we start something, we should think of the outcome. It’s as simple as that.
(Philomena John)
Mutmachertag
So einfach! Am Abend werde ich viele Menschen und Firmen kennengelernt haben, die tatsächlich einfach machen, und zwar anders machen. Ich habe von Versuchen mit Pilzen als Dämmmaterialien erfahren und von Pfandgeschirr für Take-Away-Essen. Ich habe über Leih- und Leasingsysteme für Bürostühle und Waschmaschinen nachgedacht, die eine C2C-gemäße Wiederverwertung der Materialien sicherstellen können. Aber vor allem habe ich jede Menge positive Energie getankt, ausgestrahlt von den Aktiven des Vereins genau wie von den Gästen, die allesamt daran glauben, dass der Mensch ein Nützling im Ökosystem Erde werden kann.
Veränderung erscheint möglich an diesem Tag. Und zwar auf allen Ebenen. Denn der Ansatz von Cradle to Cradle ist ganzheitlich gemeint. Gleichberechtigt neben der Recyclingfähigkeit von Materialien und umweltgerechten Prozessen steht daher zum Beispiel das Ziel „soziale Fairness“. Dass der Verein dabei auch den Aspekt der Geschlechtergerechtigkeit im Blick hat, zeigt sich daran, dass ähnlich viele Frauen wie Männer auf dem Podium Platz nehmen. Und daran, dass bei den Plenumsdiskussionen erst nach zwei Fragen von Frauen wieder eine von einem Mann zugelassen wird – ein guter Ansatz, um Frauen hörbar werden zu lassen.
Was war das für ein inspirierender, Mut machender Tag! Jetzt schon bin ich gespannt auf den C2C Congress 2019, dann mit dem Schwerpunktthema Lebensmittel. Ich werde dabei sein.
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